Geschichte des Dorfes


Gonterskirchen liegt im südöstlichen Teil des Kreises Gießen idyllisch im „Alten Waldrevier“ am Westhang des Vogelsbergs. Seine Höhenlage an der „Großen Schule“ liegt bei 187,5 m. Es ist das höchstgelegene Dorf im Horlofftal und ringsum von Bergen als Ergebnis der Reliefvielfalt am Gebirgsrand und von Wald umgeben. Seiner „reizvollen landschaftlichen Lage verdankt Gonterskirchen das Attribut eines der in der Natur am schönsten gelegenen Dörfer Hessens zu sein“.

Über den alten Ortskern an der Horloff hinaus ist das Dorf seit den 50er Jahren des vorigen Jhs. nach Norden und Süden auf die Berghänge und das ehemalige Gartenland in der Horloffniederung auf etwa das Doppelte an Wohneinheiten gewachsen. Zwei Wochenendgebiete, das „Teichhausgebiet“ in Richtung Friedrichshütte/Ruppertsburg mit etwa 20 Teichen und das am Oberlauf der Horloff entlang gestreckte „Jägerhaus-Gebiet“, die längst auch Wohnsiedlungen geworden sind, haben das ehemals kleine Köhlerdorf in den letzten 50 Jahren weit in seine waldreiche Gemarkung hineinwachsen lassen.



Früher zeichneten das Dorf viele Fachwerkhäuser aus; besonders groß war der Bestand an Einhäusern mit Wohnhaus, Scheune und Stall unter einem Dach, von denen auch heute noch einige existieren, Das Verhältnis von modern geputzten Häusern zu Fachwerkhäusern hat sich inzwischen umgekehrt. Kaum zehn Fachwerkhäuser zieren heute noch das Dorf und nur in seinem alten Kern. Es macht den wirtschaftichen Aufschwung deutlich. Einst hatten wir auch drei Schulen: an der Schuhlhohl stand die „Alte Schule“, das heutige Evangelische Gemeindehaus, in dem das schulische Leben in Gonterskirchen verlief. Die „Alte Schule“ wurde um 1650 wohl auch Armenhaus und in den 20er Jahren des 19. Jhs. Gemeinderathaus. An der Franzosenhohl (Parrhohl) wurde 1840 aufgrund der gewachsenen Schülerzahl die „Kleine Schule“ gebaut, in die im 20. Jh. noch die „Kleinen“ vom 1. bis 4. Schuljahr gingen. Die „Große Schule“ auf der anderen Seite eines großen Schulhofs wurde 1906 gebaut. Als Schulen haben alle ihre Bedeutung mit dem Beitritt Gonterskirchens zum Schulverband Laubach verloren.

Panoramablick über Gonterskirchen

Zwei Mühlen sorgten für das Mehl zum täglichen Brot: die gräfliche „Gonterskircher Erbleihmühle unter dem Pfarrhof“ und die „Gräfliche Erbleihmühle in Horloff“ zwischen Gonterskirchen und Friedrichshütte.

In drei Backhäusern im Unter-, Über- und Oberdorf konnte das Mehl zu Brot verbacken werden; auch sie existieren noch und manchmal wird in zweien davon auch noch gebacken, doch eher schweinerne Haxen als Brot.

Das kleine Dorf wurde seit je her von unserer alten Wehrkirche aus dem 13. Jh. überragt. Sie liegt am Berghang im alten Friedhof, der gegen Ende des 19. Jhs. zu klein geworden war und deshalb in „die Hohl“ verlegt werden mußte. In der Sakristei und im Aufgang zum Turm wurden vom Arbeitskreis Kultur e.V. einige Grabdenkmale von Pfarrern und anderen örtlichen Persönlichkeiten aus dem 17. Jh. restauriert und aufgestellt.
Zwei Pfarrhäuser konnte die Gemeinde im Verlaufe der Zeit für ihre Pfarrherrn bauen.
Eins am östlichen Ende des Dorfes an der Kirche stammte aus dem 16. Jh. und blieb bis in die Mitte des 20. Jhs., das was es immer gewesen ist, ein imponierendes landwirtschaftliches Anwesen, das bis zu seinem Verkauf 1910 von Pfarrherrn und dienstpflichtigen Bürgern bewirtschaftet wurde. Auch in der Folgezeit blieb es zunächst Bauernhof. Heute dient es als besonders schönes Wohnhaus, welches am Hang das Dorf überblickend, nach verschiedenen Bränden im Fachwerkstil renoviert wurde.
Das neue Pfarrhaus oberhalb der Kirche ist ebenfalls ein besonders auffälliger Bau. Den „Flair“ des alten Pfarrhauses konnte es jedoch nicht mit hinübernehmen: denn nach Aussagen von Pfarrherrn und der Pfarrakten hat es im „Alten Pfarrhaus“ ganz gewaltig gespukt.

Die geologischen Gegebenheiten Gonterskirchens am Westrand des gewaltigen Basaltmassivs des Vogelsbergs haben nicht nur eine „prächtige Landschaftskulisse vor sondern schufen auch den natürlichen Siedlungsraum in der Weitung des Horlofftales“. Sie bedingen nicht nur das Schürfen nach dem Basalteisenstein in Wühlgräben in den Wäldern um Gonterskirchen, sondern zusammen mit seinem Klima auch die gründliche Verwitterung des Basalts. Besonders die Horloff prägte unsere Landschaft mit sehr romantischen Landschaftszügen und vielen määndrierenden Schleifen oberhalb des Dorfes.
Lingelbach und Aubach, heute kaum wahrgenommene Bächlein, verstärken seine Wassermenge geringfügig. Eingeengt durchfließt sie das Dorf und nimmt unterhalb Schiffer- mit Flachsbach auf. Es folgen die gereinigten Wasser der Kläranlage und im einstmals versumpften Teichhausgebiet der Silbach. Etwa in Höhe der ehemaligen Horloffsmühle verläßt sie die alte Gonterskircher Gemarkung und quert den Gebirgsrand.

Von Alters her war Gonterskirchen landwirtschaft-forstlich geprägt, wobei der Wald etwa 2/3 der alten Bodenfläche (etwa 1704 ha) einnahm, in welche die Wüstungen Horloff, Gemannshausen, Ober- und Nieder-Hinderna eingegangen waren. Diese große Waldfläche auf sandig bis tonigen Lehmböden ist jedoch nicht nur Resultat der Boden- und Oberflächenbeschaffenheit sondern vor allem ein Ergebnis des Eigeninteresses des gräflichen Hauses für das Waldgewerbe und vor allem auch für Jagdzwecke und die Nutzholzgewinnung. Der Waldreichtum des idyllischen „Alten Waldreviers“ ist noch immer das herausragende Landschaftsinventar unserer Heimat. Die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche besteht aus Grünland, wahrscheinlich bedingt durch Handlagen und die weite Talfläche der Horloff, wahrscheinlich aber auch durch alte Gewohnheit für eine übergroße Grünlandwirtschaft. Auf den lößhaltigen Lehmböden der Fluren wird Ackerbau mit Hackfrüchten und Getreide betrieben.

Seit alters her gehört Gonterskirchen zur Burg und Dorf Laubach. Erstmals erwähnt wurde es nach 1224, als die Priester Dietrich von Laubach und Heinrich von Gontarszkirchen in einer kirchlichen Urkunde genannt wurden. Offizielles Datum seiner Ersterwähnung ist das Jahr 1239 in einer Urkunde Ulrichs I. von Münzenberg. Wahrscheinlich ist die Siedlung aber älter und entstand im Laufe früherer Landnahmen im Horlofftal. So gehören einzelne Scherben aus Wüstungen um Gonterskirchen in spätkarolingische Zeit und weisen auf Begehung oder Besiedlung wahrscheinlich auch in vorgeschichtliche Zeit. Sie zeigen wohl eindeutig, wie wahrscheinlich auch der Ortsname „Siedlung bei der Kirche des Gunthard“, daß die Gemarkung Gonterskirchens seit dem späten 8. Jh. besiedelt war.

Die Vogtei über Laubach und Umgebung als Lehen des Klosters Hersfeld besaßen im 13. Jh. die mächtigen Münzenberger Reichsministerialen. Obiger Heinrich von Gonterskirchen war Zeuge, den Kuno III. von Münzenberg für die Besetzung einer Pfarrstelle aufbot. In der Folgezeit machte ein Ritter Eberwin von Gonterskirchen als Schultheiß auch in Frankfurt Karriere. Die Münzenberger starben 1255 aus. Durch Erbgang ging damit das Gericht Laubach als Hersfelder Lehen an die Herren von Hanau über. Ein weiterer Gonterskircher Ritter war Wetzel. Auch er ist überregional bis 1278 erkennbar. In Grünberg fungierte Rupert von Gonterskirchen als Spitalmeister und um die Wende zum 14. Jh. sind weitere Männer der Dynastie derer von Gonterskirchen nachweisbar. Ein anderer Zweig der Familie waren die Strebekoz von Gonterskirchen, für die allerdings wahrscheinlicher ist, daß ihr Lebensraum Grünberg war.

Laubach stand von 1256 an unter Hanauer Herrschaft und wurde vom Kloster Hersfeld 1341 an die Falkensteiner verkauft. Nach dem Aussterben der Falkensteiner 1418 fiel ihr großes Erbe an die Solmser Grafen aus der Lahn-Gegend. Das alles änderte an den Frondiensten nichts, die Gonterskircher und andere Bewohner des Oberamtes Laubach mit sieben Ortschaften um Laubach zu leisten hatten. Über die Bewohner Gonterskirchens und ihr Vermögen gibt eine Zusammenstellung aus dem Jahr 1708 Auskunft, deren Bedeutung vor allem im anschaulichen Bild der Einwohner unserer Heimat, ihrer wirtschaftlichen Lage, ihrer Berufe und teilweise auch ihres Charakters bietet. Die Gemarkungs- und Ortskarte von 1751 gibt dazu einen Eindruck über die landwirtschaftiche Grundlage und die dörfliche Beschaffenheit des kleinen Dorfes. Zwei Tatsachen fallen in diesem Jahrhundert besonders ins Auge: die Vorliebe der gräflichen Souveräne für den Wald um Gonterskirchen als Jagdgebiet, die schließlich in der Mitte des Jhs. zum Bau eines großzügig angelegten „Jagdschlosses“ im Dorf führte. Doch auch gräfliche Wasenmeister und Scharfrichter hatten seit 1621 bis ins 19. Jh. ihren ständigen Sitz in Gonterskirchen, genauso wie eine Dynastie gräflicher Schultheißen, die als verlängerter Arm der Grafen deren Interesse durchzusetzen wußten.

Mit dem Jahr 1806 endete die gräfliche Oberhoheit über Gonterskirchen; es wurde großherzoglich-darmstädtisch. Doch das Dorf blieb aufgrund seiner Abgeschiedenheit und miserablen Verbindungen zur Außenwelt genau so arm und vergessen, wie es all die Jahrhunderte vorher gewesen war. Wer im Dorf blieb konnte zwar mehr schlecht als recht aufgrund der gegebenen, doch sehr begrenzten Möglichkeiten sein Leben fristen, Reichtümer erwerben konnte jedoch keiner. Auswandern wie in den Jahrhunderten vorher war die eine, vom Dorf weggehen die andere Möglichkeit, doch kein Gonterskirchener tat das gerne. Viele kamen genau so gerne wieder zurück.

Insbesondere die schlechten Verkehrsverhältnisse waren ein Standortnachteil, der die dörfliche Entwicklung in besonderem Maße behinderte. Industrie- und Gewerbeansiedlungen konnten sich außer einem Basaltwerk, einem kleinen Landmaschinenhandel und einen Baustoffgroßhandel jedoch halten.
Von den drei Gaststätten existiert keine mehr, jedoch noch ein Hotel. Die Landwirtschaft ist in Gonterskirchen zum Nebenerwerb geworden, unsere Erwerbstätigen sind aufgrund dieser Tatsachen auf auswärtige Beschäftigungen angewiesen. Die größere Mobilität führt deshalb Pendler bis Gießen und in das Rhein-Main-Ballungsgebiet. Gonterskirchen ist eine „Pendler-Wohngemeinde“ mit landwirtschaftlich-forstlichem Nebenerwerb geworden mit Teilfunktionen eines Erholungsortes. Die Aufnahme von Evakuierten, die Zuwanderung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen erhöhte die Einwohnerzahl ganz erheblich und „brachte neues Blut ins Dorf“. Besonders hoch anzuerkennen ist, daß auch weiterhin die Agrarflächen bestellt und gepflegt und Felder und Wiesen selbst am Feierabend noch bearbeitet werden. Nicht umsonst ist deshalb dem früheren spöttisch und abwertend gehandelten „Flutlichtbauer“ heute die Anerkennung sicher, die er mit seinem Fleiß und Arbeitseinsatz nach Feierabend verdient. Gleiches gilt für unseren Schäfer, der auch heute noch eine der vereinzelt im Kreis vorhandenen Schafherden hütet.


Im Gefolge der Landschulreform konnten für die Jugend mit der Gesamtschule Laubach erweiterte Bildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Die jüngste Gebietsreform 1971 mit dem Anschluß der Dörfer an Laubach, die mehrere hundert Jahre gräflich-laubachisch waren, und einige andere mehr, läßt uns auch heute wieder laubachisch werden. Sicher handelt es sich dabei wiederum um einen historischen Einschnitt; wir sind Stadtteil. Dem Selbständigkeitsverlust, von vielen beklagt, konnten alsbald die vielen positiven Seiten entgegengestellt werden, wie die Anbindung an eine leistungsstarke Verwaltung und den Ausbau unserer Infrastruktur wie beispielsweise Grundversorgungsmaßnahmen, Erschließung von Neubaugebieten und vieles andere mehr. Doch „auch die Neubaugebiete konnten keinen Aufschwung oder wesentlichen Zuzug bei der Wohnbevölkerung bewirken, sie brachten aber sicher eine Entmischung von Alt und Jung in die Tal- und Berglage“, wie es Ende der 80er Jahre vorausgesehen wurde, „und die Auflösung der einstigen Großfamilien“. Als Dorf hat Gonterskirchen in den wenigen Jahren seiner Zugehörigkeit zur Stadt Laubach seine Identität verloren. Das ist die Gegenrechung zu all den großen Vorteilen der städtischen Anbindung. Ob Zukunftschancen im Fremdenverkehr liegen, wie es Ende der 80er Jahre erhofft wurde, bleibt abzuwarten, zumal gerade die Kernstadt diese Entwicklungschance ebenfalls auszubauen bestrebt ist.

(Kurzfassung nach „750 Jahre Gonterskirchen 1239-1989“. Laubacher Hefte Heft 8, 1989 sowie Trautel Wellenkötter Laubach, Geschichte und Gegenwart Laubach 2004).