Die Gonterskirchener Backhäuser
Brot, das in den Gonterskircher Backhäusern gebacken wurde, war neben Kartoffelspeisen zu unserer Kinderzeit die Grundlage der Ernährung. Die Backhäuser waren von alters her eine Besonderheit im Dorf, denn es gab von Anfang an gleich drei Backhäuser. Für jeden Dorfteil gab es eins: eins für das Unterdorf, eins für das Überdorf und ein drittes für das Oberdorf. Das kam so: Gonterskirchen wurde anfangs des 19. Jh. großherzoglich-darmstädtisch nachdem die Solms-Laubacher Grafen nicht gerade Parteigänger des großen Korsen Napoleon gewesen waren. Damit trat auch die großherzoglich-darmstädtische Feuerschutzverordnung in Kraft. Sie bestimmte, daß Backöfen im Schul- und Pfarrhaus und die in einzelnen noch bis in die Mitte des 19. Jh. strohgedeckten Häusern vorhandenen Backöfen entfernt wurden. Selbst die Strohdächer auf den Schweineställen mußten ersetzt werden, um Schadensfeuern vorzubeugen.
Die Folge war, daß die Gemeinde Ende der zwanziger Jahre jenes Jahrhunderts gezwungen war, neue Backhäuser zu bauen. Eine große Anstrengung und ungeheure Geldausgabe für die kleine und arme Gemeinde. Sicher waren es die Hausfrauen, die die Last des Brotbackens im wahren Sinne des Wortes auf ihren Schultern trugen und deshalb wohl ein gewichtiges Wort mitsprachen, daß ihnen diese Arbeit erleichtert wurde. Denn: die Wegeverhältnisse im Dorf waren abschüssig, holperig, matschig, hatten ziemlichen Höhenunterschied und waren zusammengefaßt miserabel. Sie zu gehen mit den „teigenen Broten“ auf den anderthalb Meter langen Brotbrettern aus Buchenholz auf den Schultern, andere Frauen mit „einem Blatz“ unter jedem Arm, und noch einen auf dem „Ketzel“ (einem Tragepolster) auf dem Kopf, ohne ein Brett oder ein Blech fallen zu lassen, waren sicher zirkuswürdige Kunststücke. Allerdings die meisten Frauen beherrschten sie. Doch sicher lagen sie auch ihren Männern in den Ohren und die dem Gemeinderat und Bürgermeister, bis 1832 drei Backhäuser gebaut waren. Betrachtet man sie nach dem Lageplan von 1850/52, so war sicher allen drei Dorfteilen -Unter-, Über- und Oberdorf- in bestem Sinne genüge getan.
(Kurzfassung nach G.H. Melchior und Heinz P. Probst: Vom Backen in Gonterskirchen und seinen Backhäusern, MOHG NF, 87, 213-259, 2002).
Das restaurierte Untergässer Backhaus
Das Untergässer Backhaus wurde 1827 fertig gestellt. Das Untergässer Backhaus ist das kleinste Gebäude der drei. Es ist auch dasjenige, das im Jahr 2001 in den Zeitungen ständig Schlagzeilen machte und schließlich vom „Backhausverein“ (Interessengemeinschaft Backhaus 1827 e.V. Gonterskirchen) restauriert wurde, nachdem es bereits gegen Ende des 20. Jh. durch eine Jugendgruppe mit Billigung der Stadt seines Backofens beraubt und mit den Folgeschäden Wind und Wetter überlassen worden war, so daß es weiter verfiel und abgerissen werden sollte. Es steht auf einem etwa 70 qm großen Grundstück an der Horloff, über die einst ein schmaler Steg ging, und die ehemals „Hitler“- und „Schmärbrücke“ genannte heutige „Horloffbrücke“ führt. Es handelt sich um ein Fachwerk-Backhaus mit großzügig dimensionierten noch gut erhaltenen Eck- und Bundständern, aus denen eine Entnahme von Bohrkernen aus dem trockenharten Eichenholz nicht gelang. Die ohne Isolierung einem Bruchsteinsockel aufgelegten Saumschwellen waren allerdings verfault und mußten gänzlich, ebenso wie einige Stiele teilweise, erneuert werden. Alle Riegel und Streben waren noch in Ordnung.
Die Gefache waren teils ausgebrochen und stammten nur noch zum Teil als Stroh-Lehm-Fache mit Stakung und Flechtwerk aus der Bauzeit. Nur innen war hinter dem Backofen der alte Lehmputz mit typischer Ritzung erhalten. Ein Teil der Fache war mit flachen Ziegelsteinen oder Bimsschwemmsteinen ausgelegt. Der sparsam gemörtelte Sockel aus gestickten Bruchsteinen ragt nur wenig aus dem Gelände und erfolgte zeitgemäß. Der Fußboden aus Resten aus gestampftem Lehm wurde vor dem Backofen durch eine Pflasterung wahrscheinlich jüngeren Datums unterbrochen. Das Dach ist als Satteldach ausgebildet und ein einfaches Sparrendach. Das durch den Gebrauch als Backhaus geschwärzte Holzwerk ist Zeugnis der vormaligen Nutzung, allerdings war die komplette Lattung zu erneuern. Gedeckt war und ist das Dach in Doppeldeckung mit Biberschwänzen in einem Sonderformat, die zum größten Teil wieder verwendet werden konnten.
Das Backhaus hatte keine Fenster, doch Giebelfeldöffnungen unter dem First. Sie dienten dem Rauchabzug, bevor ein Schornstein eingebaut worden war. Die einfache Brettertüre aus neuerer Zeit mit Langbändern und Kastenschloß war in ihrer Art zu erhalten. Die Höhe der Türe von 1,61 Meter weist auf den sparsamen Umgang mit Heizmaterial und Energie hin, wurde aber als einzige Konzession auf 1,98 Meter erhöht. Eine Regenrinne hat das Backhaus wohl nie gehabt und wurde jetzt zur Ableitung des Regenwassers zum Schutz des Gebäudes angelegt.
Das kleinste der Gonterskirchener Backhäuser war gegen Ende des vorigen Jh. entkernt worden. Seine Umnutzung geht nun nach der vollständigen Restaurierung durch die IG Backhaus 1827 e.V. zugunsten von Lesungen und Veranstaltungen. Auch über die Nutzung als Hochzeitsraum machte man sich Gedanken.
Der Raum enthält außerdem alte und neue Backgeräte vom Backtrog bis zum Kuchenblech, Haler und Schießer, wie sie sich in Gonterskirchen im Verlauf von fast 300 Jahren zum Backen als innvoll und nützlich erwiesen hatten.
Das Übergässer Backhaus
Es steht am Eingang der früheren Sechshäusergasse und wurde ebenfalls 1827 wie das Untergässer Backhaus gebaut. Es ist das größere „Backhaus der Übergasse“. Besonders seine große Länge fällt auf: doch nicht das Backen war dafür Ursache, sondern daß auch die Viehwaage, begehbar von der Hauptstraße aus, in seinem hinteren Teil untergebracht wurde. An der Hauptstraße entlang ist wahrscheinlich auch deshalb ein Streifen gepflastert. Vor dem Backhaus Richtung Dorfgemeinschaftshaus (DGH) ist durch die Landfrauen eine kleine Anlage mit Sitzgelegenheit entstanden. Erfreulich ist, daß sie das Backhaus von der Stadt zur Nutzung erhielten. Nunmehr ist das Backhaus in die Obhut der Freiwilligen Feuerwehr Gonterskirchen übergegangen.
Das Gebäude ist in typisch oberhessisch-fränkischem Ständerfachwerk errichtet. Einige Hölzer mögen älter und zweitverwendet sein. Das großzügig dimensionierte Balkenmaterial ist aus Eiche. Das gilt auch für Riegel und Streben. Die Saumschwellen liegen ohne Sperrisolierung auf dem Bruchsteinsockel. Teilweise sind sie verfault und auf der Giebelseite vom Hausschwamm befallen. Die Eckständer sind teilweise gut erhalten, obwohl sie direkt auf dem Bruchsteinsockel stehen, und in erstaunlich gutem Zustand. Riegel und Streben sind in Ordnung. Die Gefache sind nur teilweise aus der Bauzeit und als solche Lehm-Stroh-Fache mit Stakung und Flechtwerk. Die übrigen, z.T. erneuert, haben innen und außen mineralischen Putz.
Die Eck- und Bundständer sind nach den noch vorhandenen Spuren wie im Untergässer Backhaus von Hand gesägt und die westlichen Riegel und Eckständer teilweise mit dem Breitbeil bearbeitet.
Das denkmalgeschützte Gebäude ist, obwohl immer ein Nebengebäude, ein hervorragendes Beispiel und Zeugnis der früheren und heutigen dörflichen Wirtschafts- und Lebensweise und von ortsgeschichtlicher Bedeutung. Backhaus und angebaute Viehwaage sind Bauteile aus verschiedenen Zeiten. Sie sind geradezu ein Paradebeispiel der verschiedenen Auffassungen von dörflichen Nebengebäuden: der ältere ursprüngliche Backhausteil ist in gutem und tektonisch hervorragendem Fachwerk errichtet, der Viehwaagen-Teil zeigt den Verfall der Zimmermannskunst im Fachwerkbau deutlich. Den Backhausteil in Über- und Untergasse baute der gleiche Zimmermeister. Selbst die Balkenmaße sind identisch.
Das Gebäude steht auf einem sparsam gemörtelten nur wenig über das Gelände erhobenen Sockel. Der Boden besteht aus Basaltpflaster. Wie im Untergässer Backhaus erleichtert der Steinwechsel das Einschießen der Brote. Das Satteldach liegt auf teilweise entfernten Bundbalken. Die Sparren aus alter Zeit bestehen aus grob behauenen Rundhölzern, die noch die Wuchsform des Baumes aufweisen. Das Dachwerk ist durch den Gebrauch geschwärzt. Das Dach mit einer Neigung von 50 Grad ist mit Flachdachpfannen gedeckt.
Die Türe ist eine einfache Brettertüre und nicht mehr ursprünglich. Fenster hatte das Backhaus keine doch die charakteristischen Rauchabzüge im Giebelfeld. Der noch genutzte Backofen mit einer gußeisernen Rollentüre mit einem schönen Jugendstilmotiv ist nach oben zu öffnen. Ein Handgriff unter der Backofentüre bedient die Glut- und Aschenklappe. Zwei neue Backsteinpfeiler tragen den Rauchfang. Ein Bälkchen von einem früheren Hordenregal für die Brotbretter befindet sich an der rechten Wand. Runde Löcher nahmen die Hordenzapfen auf. Links befindet sich ein Bruchsteinpodest, das zur Ablage und Abkühlung des gebackenen Brotes diente.
Leider sind es nur noch wenige Frauen im Dorf, die sich auch heute noch des mühseligen Geschäft des Backens unseres köstlichen Brotes unterziehen.
Das Obergässer Backhaus, auch Backhaus im Pfarrgarten
Es liegt an der Straße zum Sportplatz. Ursprünglich lag es im Pfarrgarten. Es ist das jüngste unserer drei Backhäuser und wurde 1832 gebaut, nachdem sich die Gemeinde vom Bau der beiden anderen Backhäuser etwas erholt hatte. Für die Gonterskirchener Backhäuser ist es deshalb eine Besonderheit, als es in seinem überwiegenden Bestand in Natursteinmauerwerk errichtet ist und nur ein Eingangsbereich in Fachwerk gebaut wurde. Seine malerische Lage am Kirchenhügel machte es zusammen mit der Kirche zu einem oft abgelichteten Fotomotiv. Es ist sehr stark in den Hang eingebaut. Im Gegensatz zu beiden anderen Backhäusern dürfte sein Bauplatz keine zusätzliche Geldausgabe für seinen Grundstücksankauf verursacht haben. Obwohl auch dieses Häuschen ein Nebengebäude im Dorf, ist es doch ein hervorragendes Beispiel dörflicher Wirtschafts- und Lebensweise und von ortsgeschichtlicher Bedeutung. Bei Reparaturen und Erneuerungen wurde auf den historischen Baumbestand kaum Rücksicht genommen. Im Vordergrund stand sicher die Zweckmäßigkeit.
Die Wände sind aus plattenartigen Basaltbruchsteinen und stammen aus einem der vielen gemeindeeigenen Brüchen. Die Wände sind mit einfachem Bürstenputz versehen und später wohl mit einem Kalk-Zement-Mörtelputz. Weiße Dispersionsfarbe gibt dem Häuschen ein hell-leuchtendes Aussehen. Die Fachwerkanteile sind alt und zum Teil zweitverwendet, wie Zapfenlöcher und Holznägel deutlich machen. Teilweise sind sie auch jünger. Die leuchtende Fachwerkfront mit trutziger Kirche im Hintergrund verführt geradezu zum Fotografieren. Über der ehemaligen Mauerkrone wurde bei der Sanierung ein Ringanker angebracht. Das westliche Mauerwerk wölbt wohl durch die Schubkräfte des Backofens stark aus. Es wird deshalb angenommen, daß die Bundbalken des ursprünglichen Dachwerks entfernt wurden und damit die Ankerbindung aufgehoben wurde. Das Dach ist ein einfaches Satteldach mit Bundbalken aus neuerer Zeit. Das Holzwerk ist in Fichte und mit Frankfurter Pfannen gedeckt.
Der Fußboden ist aus ausgesuchten Basaltpflastersteinen im unregelmäßigen Rechteckpflaster. Eine Zentrierungslinie quer zum übrigen Verlauf ist gut zu erkennen. Sie diente wohl beim Einschießen der Brote zur leichteren Orientierung wie solche Markierungen auch in Sägewerken vor Gatter und Kreissägen angebracht sind. Die Türe ist eine einfache Brettertüre. Fenster gibt es ebensowenig wie in unseren anderen Backhäusern; im Giebeldreieck befindet sich ein offenes Feld für den Rauchabzug. Der Backofen mit links angeschlagener Türe stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jh. Der Rauchfang steht vorne gegenüber dem Backofen über. Der Gewölbebogen unter dem Backofen über dem Ascheraum ist aus Basaltbruchsteinen und wohl ursprünglich.
Das Obergässer Backhaus ist in Privatbesitz. Die Stadt verkaufte es 1978 in einem sehr maroden Zustand an zwei Gonterskirchnerinnen. Pfarrerin Christel Gottwals und Anita Rühl, die es wieder instand setzten und seiner ursprünglichen Nutzung und vorbestimmtem Gebrauch zuführten, „weil ein wichtiges Stück Dorfleben“ erhalten, neu erfahren und weitergegeben werden sollte.
(Anmerkung: Nach dem Tod von Anita Rühl ging das vorgenannte Backhaus in den Besitz der AG Kultur eV Gonterskirchen über).